HIVinfo



Der InternetAIDsdienst
von Dr. M. Hartmann und
der Hautklink der Universität Heidelberg

HIV-Leitfaden - HIV-Infektion bei Kindern - Behandlung von HIV1-positiven Kindern - Ermittlung des Infektionsstadiums



Praktisches Vorgehen bei der Erstvorstellung / Ermittlung des Infektionsstadiums

Analog zur CDC-Klassifikation für Erwachsene von 1994 werden auch bei Kindern immunologische und klinische Symptome der Infektion zur Stadieneinteilung verwendet. Entsprechend müssen bei der Erstvorstellung frühere Erkrankungen (Anamnese) und aktuelle klinische Symptome (körperliche Untersuchung) erfasst - sowie laborchemische Untersuchungen veranlasst werden.

Klinische Untersuchungen:

  • Ausführliche Anamnese zur Erfassung von allen bisherigen Erkrankungen
  • Familiäre Anamnese besonders in Bezug auf Diabetes, Hepatitis, Tuberkulose, koronare Herzkrankheit
  • Gründliche körperliche und neurologische Untersuchung
  • Denver Entwicklungstest
  • Gewicht, Länge und Kopfumfang
  • Augenärztliche Untersuchungen auf HIV1-bedingte Erkrankungen (mit Augenhintergrund)
  • EKG und Echokardiographie zum Ausschluss HIV1-bedingter Kardiomyopathie

Laborchemische/Apparative Untersuchungen:

Zur Diagnose:

Je nach Alter HIV1-PCR oder HIV1-Westernblot + Immunglobuline (siehe Abschnitt 2)

Bei Bestätigung der HIV-Infektion:

 

Untersuchung: Grund:
 Klinische Untersuchung und Anamnese

  -  Evaluation des klinischen Status
- Ausgangsbefund vor Therapie

Lymphozytensubpopulationen

-  Ermittlung des immunologischen Status
(s.u. immunologische Kategorien)

-  Evaluation Möglichkeit der Lebend-impfungen bei gutem Immunstatus

- Indikation zur Pneumocystis jirovecii Pneumonie (PjP) Prophylaxe
HI-Viruslast/Quantitative HIV1-PCR

-   ggf. Therapieindikation

- Ausgangsbefund vor Beginn der ART

Genotypische Resistenztestung mit Sequenzierung der

-         Reversen Transkriptase

-         Protease
- Integrase

Erfassung von Resistenzmutationen gegen:

-         Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI)

-         Nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI)

-         Protease-Inhibitoren (PI)
- Integraseinhibitoren (INI)

Bestimmung von HLA-B*5701 * Bei HLA-B*5701-Trägern hohe Wahrscheinlichkeit einer Hypersensitivitätsreaktion auf Abacavir und damit Kontraindikation für dieses Medikament
(Cave: Einwilligung für genetische Untersuchung!)

Blutbild, Differentialblutbild

-         Erfassung hämatologischer Auffälligkeiten (Anämie, Neutropenie, Thrombozytopenie)
-
Ausgangsbefund vor Beginn der ART

CRP, Serumelektrolyte, Blutzucker, Serumeieiweiss, Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Mg, Phosphat, AP, µGT, Transaminasen, Amylase, Lipase, CHE, CK, CK-MB, Cholesterin, Triglyceride, fT4, TSH, Gerinnungsstatus a) Erfassung der Beeinträchtigung von Organsystemen,
b) Ausgangsstatus vor antiretroviraler Therapie
Immunglobuline a) Auschluß Hypogammaglobulinämie als Indikation zur Immunglobulinsubstitution
b) Ausgangsstatus vor antiretroviraler Therapie
Impfantikörper: Impfantikörper: Tetanus, Pneumokokken, Hepatitis A + B, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen (bei erfolgten Imfungen)

Überprüfung des Impfstatus und ggf. Indikation zu Booster-Impfungen

(Cave: Lebendimpfungen nur bei gutem Immunstatus, s. Kapitel Impfungen)

Serologie: 

CMV, EBV (PCR-Diagnostik bei schwerem Immundefekt)
HSV, VZV, Lues, Toxoplasmose

Hepatitis A+B+C (s. Kapitel Hepatitis)

Kryptokokken-Antigen bei schwerem Immundefekt
Erfassung von möglichen Koinfektionen zur
- Einteilung in klinische Kategorien s.u. 
(schlechtere Prognose und häufigere neurologische Symptome bei CMV-Koinfektion)
- Auswahl und Monitoring der ART je nach Koinfektion
Erfassung evtl. intrauteriner oder perinataler Expositionen

Urinstatus Ausschluß Harnwegsinfektion, Proteinurie, HIV-Nephropathie etc.
Tuberkulin Hauttest (THT) u./o. Interferon-Gamma-Release Assay (IGRA)

Nachweis einer latenten tuberkulösen Infektion oder Tuberkulose

(Cave: IGRA und THT sind T-Helferzell-abhängig, d.h. bei fortgeschrittenem Immundefekt begrenzt aussagefähig)
Röntgen-Thorax als Ausgangsbefund auch ohne pulmonale Symptomatik 
 Echokardiographie/EKG  Evaluation HIV-Kardiomyopathie, Rhythmusstörungen
 Abdomensonographie  Erfassung von Pathologien, z.B. Organomegalie(n), Lymphadenopathie
 Augenärztliche Untersuchung inkl. Visus-testung und Untersuchung des Augenhintergrundes  Evaluation HIV-Retinopathie, CMV-Retinopathie
Liquorpunktion (LP) Nur bei neurologischer Symptomatik und
nur von LP-erfahrenem Personal
Cave: Cerebrale Infektion mit HIV, v.a. bei blutiger Punktion
Tympanogramm Bei rezidivierenden Otitiden
BERA Bei neurologischer Symptomatik
EEG, MRT etc. Bei neurologischer Symptomatik
Ab Eintritt Menstruation (regelmäßige) gynäkologisch(e) Untersuchungen Erhöhte Inzidenz des Cervixcarcinoms (Cervixcarcinom = AIDS definierende Erkrankung!!)

 

*Bei positivem HLA-B*5701 Status ist eine Hypersensitivitätsreaktion auf Abacavir sehr wahrscheinlich, bei negativem HLA-B*5701 Status ist sie eine Rarität [18]**kann evtl. bei asymptomatischen peripartal infizierten Neugeborenen/ jungen Säuglingen nach Expositionsprophylaxe entfallen

 

 

Entsprechend den klinischen und laborchemischen Untersuchungsergebnissen werden die HIV1-infizierten Kinder einer klinischen und immunologischen Kategorie zugeordnet. Das HIV1-positive Kind wird nach den folgenden Kriterien der klinischen Kategorie (N, A, B und C) zugewiesen:

Klinische Kategorien bei Kindern mit HIV-Infektion: 

Kategorie N: Keine klinische Symptomatik

Kinder ohne Zeichen einer HIV-Infektion oder mit lediglich einem unter Kategorie A beschriebenen Symptom
Kategorie A: Leichte klinische Symptomatik
Kinder mit zwei oder mehr der folgenden Symptome, aber ohne Erkrankungen der Kategorien B oder C:
  • Lymphadenopathie (> 0.5cm an mehr als zwei Lymphknotenstationen;
    symmetrischer Befall = eine Lymphknotenstation)
  • Hepatomegalie
  • Splenomegalie
  • Dermatitis
  • Parotitis
  • Rezidivierende oder chronische obere Atemwegsinfekte, Sinusitis oder Otitis media
Kategorie B: Mittelschwere klinische Symptomatik
Kinder mit Symptomen der HIV-Infektion, die weder in Liste A noch in Liste C aufgeführt sind. Dazu gehören:
  • Anämie (< 8g/dl), Neutropenie (< 1000/µl) oder Thrombozytopenie (<100.000/µl)
    länger als 30 Tage
  • eine Episode einer bakteriellen Meningitis, Pneumonie oder Sepsis
  • Oropharyngeale Candidiasis bei Kindern über 6 Monaten, die länger als 2 Monate persistiert
  • Kardiomyopathie
  • Zytomegalie, die vor dem ersten Lebensmonat beginnt
  • rezidivierende oder chronische Diarrhoe
  • Hepatitis
  • rezidivierende (mehr als 2 Episoden pro Jahr) Herpes simplex-Stomatitis
  • Herpes simplex-Bronchitis, -Pneumonie oder -Ösophagitis, die vor dem ersten Lebensmonat beginnt
  • mindestens zwei Episoden eines Herpes zoster oder ein H. zoster, der sich über mehr als ein Dermatom ausbreitet
  • Leiomyosarkom
  • Lymphozytäre interstitielle Pneumonie (LIP)
  • Nephropathie
  • Nokardiose
  • Fieber, das länger als einen Monat anhält
  • Toxoplasmose, die vor dem ersten Lebensmonat auftritt
  • disseminierte Varizellen (komplizierte Windpocken)
Kategorie C: Schwere klinische Symptomatik
  • Mindestens 2 der folgenden bakteriellen Infektionen innerhalb von zwei Jahren:
    Septikämie, Pneumonie, Meningitis, Knochen- oder Gelenkinfektion, Abszess in einer Körperhöhle oder an einem Organ (mit Ausnahme von Haut- und Schleimhautabszessen und Otitis media).
  • Candidiasis des Ösophagus oder der unteren Atemwege
  • Kokzidioidomykose, disseminiert (an anderen Stellen als - oder zusätzlich zu Lunge, Hals- und Hiluslymphknoten)
  • Kryptokokkose, extrapulmonal
  • Kryptosporidiasis oder Isosporidiasis mit Diarrhoen > 1 Monat Dauer
  • Zytomegalie mit Beginn nach dem 1. Lebensmonat und in einem Organ außerhalb Leber, Milz und Lymphknoten
  • Enzephalopathie (mindestens eines der 3 folgenden progredienten Symptome seit mindestens 2 Monaten, ohne dass eine andere Erkrankung als die HIV-Infektion für die Symptome verantwortlich gemacht werden kann):
    a) fehlende Ausprägung oder Verlust von Entwicklungsschritten oder Verlust von intellektuellen Fähigkeiten, was durch einen standardisierten Entwicklungstest oder neuropsycholgischen Test verifiziert worden ist;
    b) reduziertes Hirnwachstum oder erworbene Mikrozephalie, nachgewiesen anhand von Kopfumfangsmessungen oder Hirnatrophie, die im Computer- oder Kernspintomogramm dargestellt wird (Serienaufnahmen sind für Kinder < 2 Jahren erforderlich);
    c) erworbene symmetrische motorische Störungen, die sich in mindestens zwei der folgenden Symptome äußern: Paresen, pathologische Reflexe, Ataxie, Gangunsicherheit
  • Herpes simplex-Bronchitis, -Pneumonie oder -Ösophagitis bei einem > 1 Monat alten Kind oder ein HSV-bedingtes mucocutanes Ulkus, das länger als 1 Monat persistiert
  • Histoplasmose, disseminiert, d.h. zusätzlich zu oder an anderen Lokalisationen als Lunge, Hals- und Hiluslymphknoten
  • Kaposi-Sarkom
  • Primäres ZNS-Lymphom
  • Maligne Lymphome (Burkitt, immunoblastische oder großzellige B-Zell-Lymphome oder unbekannter immunologischer Phänotyp)
  • Tuberkulose, extrapulmonal oder disseminiert
  • Mykobakteriose mit anderen oder nicht identifizierten Mykobakterien, die disseminiert ist, d.h. mit Befall anderer Stellen als - oder zusätzlich zu Lunge, Haut oder Hilus- oder Halslymphknoten
  • Mykobakterium avium Komplex oder Mykobakterium kansasii-Infektionen, disseminiert, d.h. Befall anderer Stellen als - oder zusätzlich zu Lunge, Haut oder Hilus- oder Halslymphknoten
  • Pneumocystis jirovecii Pneumonie
  • Progressive multifokale Leukenzephalopathie
  • Rekurrierende Salmonellen-Septikämie, außer Typhus
  • Toxoplasma-Enzephalitis mit Beginn nach dem ersten Lebensmonat
  • Wasting-Syndrom in der Abwesenheit einer anderen Erkrankung als der HIV-Infektion, die die folgenden Symptome erklären könnte:
    a) persistierender Gewichtsverlust von mehr als 10% des Ausgangsgewichtes
    b) Kreuzen von mindestens 2 der folgenden altersabhängigen Gewichtsperzentilen (95., 75., 50., 25., 5. Perzentile) bei einem > 1 Jahr alten Kind
    c) wiederholt Werte unter der 5. Perzentile der Gewicht-zu-Körperlängen-Kurven bei zwei Messungen, die mindestens 30 Tage auseinander liegen
    UND
    a) chronische Diarrhoe (d.h. mindestens zwei weiche Stühle pro Tag seit mindestens 30 Tagen)
    ODER
    b) dokumentiertes Fieber (anhaltend oder intermittierend seit mindestens 30 Tagen)

 

Die Kategorie C, "schwere klinische Symptomatik", entspricht der Falldefinition AIDS von 1987. Aufgrund ihrer guten Prognose wird die lymphozytäre interstitielle Pneumonie (LIP) als mittelschwere klinische Symptomatik, aber dennoch als AIDS-definierend eingestuft.

Die immunologischen Kategorien, eingeteilt in
fehlende =1,
mittelschwere =2 und
schwere Immunsuppression =3, werden anhand der absoluten CD4-Lymphozyten/µl und der relativen % CD4-Lymphozyten definiert. Ein Abfallen der T-Helferzellen von der Geburt bis zum 6.Lebensjahr ist physiologisch. Erst ab dem 6.Lebensjahr werden die Normwerte für Erwachsene gültig. Insofern erfolgt die Einordnung in die immunologische Kategorie altersabhängig: 

Immunologische Kategorien 1-3 anhand altersspezifischer CD4-Lymphozyten-Zahlen

Immunologische Kategorie:

Alter des Kindes

<1Jahr 1 bis 5 Jahre 6 bis 12 Jahre
Immunsuppression: CD4/µl CD4% CD4/µl CD4% CD4/µl CD4%
1: keine ³1500 ³34 ³1000 ³30 ³500 ³25
2: mittelschwere 750-1499 26-33 500-599 22-29 200-499 15-24
3: schwere <750 <26  <500 <22  <200 <15

 

Nach klinischer und immunologischer Kategorie wird das HIV1-infizierte Kind dem entsprechendem Krankheitsstadium, charakterisiert durch die Kombination eines Buchstabens (N, A, B, C) der klinischen Kategorie mit einer Zahl (1, 2, 3) der immunologischen Kategorie, zugeordnet. Definitionsgemäß wird immer das schwerste jemals erreichte Krankheitsstadium angegeben, auch wenn das Kind sich inzwischen durch antiretrovirale Therapie immunlogisch verbessert hat und/oder schwere Erkrankungen, z.B. der Kategorie B oder C, seit Jahren nicht mehr aufgetreten sind.

Immunologische Kategorie Klinische Symptomatik
Immunsuppression N:
keine
A:
leichte
B:
mittelschwere
C:
schwere
1: keine N1 A1 B1 C1
2: mittelschwere N2 A2 B2 C2
3: schwere N3 A3 B3 C3
Bei unklarem Infektionsstatus werden die Untergruppen durch den Buchstaben "E"=exponiert erweitert.
Beispiel: EN2.